Gesellschaftsspiele

Kulturgut Spiel

Unter Gesellschaftsspielen versteht man allgemein Brett- und Kartenspiele. Früher, bei Hofe, sicherlich auch Partyspiele. Aber sind diese Spiele wirklich nur „Zeitvertreib“ oder „Kinderkram“? Sie dienen auf jeden Fall der Unterhaltung und dem Vergnügen. Mit ihren Spielthemen und Spielmitteln sind sie sicherlich ein Abbild der Gesellschaft, aus der sie heraus erwachsen sind. Oder prägen sie gar die Gesellschaft als interaktives, emotinales Medium? Entseht unsere Kultur mit all ihren erfundenen Ordnungen und regulativen Spielregeln nicht gar dem Spiel, so wie es der niederländische Anthropologe Johan Huizinga in seinem Buch „Homo ludens“ eindringlich 1938 beschrieben hat?

Buch "Homo ludens", Johan Huizinga, 1938
Buchcover „Homo ludens“ von Johan Huizinga, 1938

Das Spiel wird noch immer von vielen Menschen gern als Gegensatz zum Ernst oder zur Arbeit aufgefasst. Was ist aber, wenn wir das Spiel ernst nehmen und uns die Arbeit zum Spiel wird?

 

Brettspiele als Kulturerbe anerkannt

Am 16. Mai 2024 wurde die Urkunde in der thüringischen Staatskanzlei in Erfurt verliehen. Die „Deutsche Brettspielkultur“ hat es geschafft. Die UNESCO-Kommission in Thüringen hat diese traditionelle Kulturform auf die Landesliste des Immateriellen Kulturerbes gesetzt und sie zur Aufnahme für die Bundesliste vorgeschlagen.

Antragsentwicklung

Mit zwölf Personen, die als Repräsentantinnen und Repräsentanten der Trägergruppe „Deutsche Brettspielkultur“ zur Urkundenverleihung nach Erfurt kamen, war dieser Antrag sichtbar stark untermauert. Die Antragstellenden Gabriele Orymek mit Tochter Sarah-Ann und Michael Schöne von den Altenburger Spieletagen, Christian Wallisch von Deutschlands größtem Brettspielclub Ali-Baba sowie federführend Prof. Dr. Jens Junge, Direktor des Instituts für Ludologie in Berlin wurden begleitet von Prof. Dr. Karin Falkenberg und Tom Werneck, die für die „Deutsche Brettspielkultur“ in Nürnberg und München bereits Etappensiege hatten verzeichnen können. 2021 sind das Spielzeugmuseum Nürnberg, das Bayerische Spiele-Archiv München und das Deutsche Spielearchiv bereits als Best-Practise-Orte zur Förderung des Brettspiels ausgezeichnet worden. Jedoch hat Bayern die „Deutsche Brettspielkultur“ nicht für das Bundesverzeichnis der UNESCO vorgeschlagen. Schwung bekam der neue Antrag in Thüringen durch die zusätzliche Unterstützung von Dagmar de Cassan und Maria und Walter Schranz, die mit dem Transfer des Österreichischen Spielemuseums mit über 31.000 Brettspielen aus Wien ins thüringische Altenburg die überregionale Bedeutung des Themas darlegten.

Kulturelle Entwicklung

Brettspiele dokumentieren die Entwicklung der Menschheitsgeschichte aus 5000 Jahren und bilden die inhaltliche Grundlage für die Technologieentwicklungen bei den digitalen Games der letzten 50 Jahre. Komplexe Gesellschaften benötigen komplexe Spiele. Mit den Brettspielen Schach und Go wurden aus Computern selbstlernende Systeme, ein Teil der Künstlichen Intelligenz. Aber eine digitale Gesellschaft benötigt auch persönliche Zeiten der digitalen Entgiftung für jeden Einzelnen und in Gemeinschaft. So wirken analoge Brettspiele kulturell in beide Richtungen, Innovation und Entschleunigung.

Persönlichkeitsentwicklung

Innerhalb von analogen Brettspielen lernen Menschen indirekt, sich auf die Suche nach neuen, besseren Wegen zu begeben, sich variabel und flexibel zu verhalten, ob im Wettbewerb oder in kooperativen Spielen. Keine Informationen oder Ideologien als absolute Wahrheit zu definieren, sondern auch Spielregeln in Frage stellen zu können, um innerhalb einer Gemeinschaft immer wieder nach passenden Regeln für ein faires Miteinander zu sorgen, das liefert das Kulturgut Spiel.

Entwicklung der öffentlichen Brettspielkultur

Deutschland hat sich in den vergangenen 50 Jahren zu einem Land der Brettspielkultur entwickelt. Öffentliche Orte für Brettspielinteressierte haben sich in zahlreichen Städten entwickelt. Die weltweit größte, jährlich im Herbst stattfindende Publikumsmesse für Brettspiele, die SPIEL in Essen, hat sich daraus seit 1983 herausgebildet. So sind die ehrenamtlich organisierten Altenburger Spieletage in Thüringen ein Beispiel, für eine regelmäßige, öffentliche Kulturpflege und mit ein Grund, den Antrag zur Anerkennung des Immateriellen Kulturerbes in Thüringen zu stellen. Die Stadt Altenburg beheimatet das 1923 gegründete Spielkartenmuseum in seinem Residenzschloss und im Altenburger Land wurde 1813 das Skatspiel erfunden, was schon seit 2016 ebenfalls zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO gehört.

Stellvertretend für die die über 400 öffentlichen, ehrenamtlich getragenen Spielorte in Deutschland haben sich weiterhin an der Antragsstellung der Ali-Baba-Spieleclub aus Nürnberg mit seinen 11 Regionalverbänden, das gemeinnützige Spielzeitcafé aus Flensburg sowie das ebenfalls gemeinnützige Spielecafé der Generationen – Jung und Alt spielt aus Pfarrkirchen beteiligt, um die bundesdeutsche Bedeutung für dieses Kulturgut zu unterstreichen.

Das Brettspiel lebt im generationsübergreifenden, inklusiven und integrativen Spiel des persönlichen Miteinanders. Es bildet mit den dort vermittelten Spielkompetenzen eine wesentliche Grundlage für unser demokratisches, offenes und freiheitliches Gesellschaftssystem.

Kulturgut Brettspiel

Am 16. Mai 2024 fand in Erfurt die Übergabe der Urkunde zur Anerkennung der „Deutschen Brettspielkultur“ nach dem UNESCO-Übereinkommen für das Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes durch die thüringische Kulturstaatsekretärin Tina Beer an eine Auswahl und die Stellvertreter und Träger dieser Kulturform statt (s. Gruppenfoto).

Das Land Thüringen schlägt die „Deutsche Brettspielkultur“ zur Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO vor. Es bleibt zu hoffen, dass die zuständige Kommission und dann die Kultusministerkonferenz der deutschen Bundesländer, dieser Empfehlung folgt.

Deutsche Brettspielkultur, Immaterielles Kulturerbe, UNESCO Landesverzeichnis in Thüringen
Deutsche Brettspielkultur, Immaterielles Kulturerbe, Verleihung der Urkunde für die Aufnahme in das UNESCO Landesverzeichnis in Thüringen: Teilnehmerinnen und Teilnehmer v.l.n.r.: Maria Schranz (Spielefest Wien), Staatssekretärin Tina Beer, Prof. Dr. Karin Falkenberg (Deutsches Spielearchiv Nürnberg bis 2018, Stiftung Spielen), Jennifer Kühnold-Engel (Altenburger Spieletage), Gabriele Orymek (Altenburger Spieletage), Sarah-Ann Orymek (Altenburger Spieletage), Christian Wallisch (Ali-Baba-Spieleclub Nürnberg), Walter Schranz (Spielefest Wien), Dagmar de Cassan (Spielefest Wien und Spenderin von 31.000 Brettspielen für Altenburg), Tom Werneck (Bayerisches Spiele-Archiv, Spielekreis Haar, Mitgründer Spiel-des-Jahres e.V.), Prof. Dr. Jens Junge (Institut für Ludologie Berlin, Spielezeitcafé Flensburg, Stiftung Spielen) und Michael Schöne (Altenburger Spieletage). Foto: TSK