Ticcon AG
1. Gründungsphase
Die Ticcon AG wurde am 27. November 1999 in Flensburg gegründet, Vorläufer war die „Junge Beratung“ die ab 1995 in Köln und Flensburg aktiv war und sich aus dem Comicverlag „Flying Kiwi“ ergeben hatte. Wie kam ich auf die Idee, eine Internetagentur gründen zu wollen und dann noch eine AG? Jedenfalls nicht spontan. Es war ein jahrelanger, gewachsener Prozess.
Alles begann mit Klaus P. Friebe (1935-2017), dem Direktor der Technochnologiestiftung Schleswig-Holstein (TSH). Herr Friebe hatte zu uns Studenten nach einem von uns als Networking-Veranstaltung durchgeführten Symposium Kontakt gehalten. Wir hatten ihn als Studenten zu einem Symposien für Wirtschaft und Kultur auf Schloss Glücksburg als Gesprächspartner und Moderator eingeladen. Im Rahmen seines Wunsches der Technologiefolgenabschätzung beauftragte er uns 1994, ein „Grünbuch“ zum Thema der aufkommenden Internettechnologien zu erstellen. So machten wir uns auf den Weg, die kommenden „Killerapplikationen“ zu identifizieren, die Wirtschaft und Gesellschaft verändern werden. Wir lernten bei unseren Recherche sehr viel und fassten alles in einer umfangreichen Dokumentation zusammen.
Unsere Potentialabschätzung und Ideensammlung führte dazu, dass ich unverzüglich aus Köln, den Auftrag erhalten hatte, für das Unternehmen Bayer Leverkusen einen medizinischen Onlinedienst zu konzipieren und mit der Kölner Internetagentur Impact und Markus Kraemer die technische Umsetzung zu realisieren. Und was waren wir von der Grafik begeistert, die wir damals hoch innovativ realisiert bekamen, dass wir im 3D-Stil die Navigationselemente gestaltet bekamen. Das Comiczeichnerherz schlug höher. Und der Kunde Bayer AG war zum Glück auch zufrieden (s. Scrennshot Startnavigation „Mediworld“).
Nachdem die Strategieabteilung von Bayer bemerkte, dass „Mediworld“ eher von einem medial neutralen Partner betrieben werden sollte, wurde das Projekt an den Burda Verlag verkauft. Herr Friebe registrierte sehr wohl, dass da Schleswig-Holsteiner aufgrund seiner Initiative ihr Wissen sofort praktisch und unternehmerisch umsetzen. Die Technologiestiftung veranstaltete einen Multimediakongress 1996 in der Musik- und Kongresshalle (MUK) in Lübeck.
Ich war noch am Überlegen, ob es sich lohnt, von Flensburg durch ganz Schleswig-Holstein bis nach Lübeck zu fahren. Ich war gerade ein frisch gewordener Vater und der kleine Jonathan müsste mit? Da Lübeck auch die Geburtsstadt meiner Eltern war und Herr Friebe ernsthaft drängelte, dass ich doch bitte zu kommen hätte, sind wir dort in Form eines Familienausfluges hingefahren. Erst vor Ort erfuhr ich, worum es wirklich gehen könnte. Ein niedersächsischer Tourismusunternehmer hatte die Internetdomain www.schleswig-holstein.de für sich selbst gesichert. Herr Friebe bat mich: „Herr Junge, holen Sie für Schleswig-Holstein bitte diese Internetadresse zurück! Und dann bringen Sie endlich das Land online. Schleswig-Holstein ist das vorletzte Bundesland, das noch nicht online ist! Ändern Sie das!“ Alle Bundesländer außer Thüringen und Schleswig-Holstein waren schon im Internet präsent. Es klang so, wie „bringen Sie die Band zusammen“. Und so wurde ich im Auftrag des Herrn aktiv (s. Blues Brothers).
2. Schleswig-Holstein Forum
Die Landesregierung Schleswig-Holstein bekam nun im Jahre 1996 mit, dass „Internet“ wichtig werden könnte. Nach einer sehr kurzen Planungsphase saß ich bei Ministerpräsidentin Heide Simonis am Kabinettstisch. Ich wurde sehr spontan eingeladen, dazuzukommen. Die Staatskanzlei sowie alle damaligen neun Ministerien mit ihren nachgeordneten Einrichtungen wollten „plötzlich“ online gehen. Bernd Rohwer war Leiter des Planungsstabes in der Staatskanzlei und später ab 1998 Staastsekretär im Wirtschaftsministerium. Ihm wurde das Projekt „Internet“ übertragen und so guckte er mich in der Runde an, ob ich es denn flink schaffen könnte, endlich Schleswig-Holstein online zu bekommen. Nichtsahnend, auf was ich mich da einlasse würde und ohne konkrete Vorstellung, wie mir das gelingen könnte, sagt ich voller Selbstüberzeugung naiv „Ja“. Es begann für mich eine sehr intensive Lernphase.
2.1. Technologiestiftung und Technologie-Tranfer-Zentrale als Ausgangspunkt
Die damalige Technologie-Transfer-Zentrale Schleswig-Holstein (ttz SH) GmbH am Lozentzendamm in Kiel (gegründet 1992), direkt neben der Industrie- und Handelskammer zu Kiel, hatte schon ein Internetprojekt realisiert, das „Technologie- und Informationssystem Schleswig-Holstein“ (TISCH) von Eugen Mikschl. So lernte ich Andreas Seeger und damit die ersten Internetpioniere in Kiel kennen, die schon seit 1992 als technische Dienstleister aktiv waren, die NetUSE AG. Es stand damit eine Serverarchitektur zur Verfügung, die schnell vor Ort genutzt werden konnte.
Aber einfach nur unter der Domain schleswig-holstein.de die Selbstdarstellungen der Staatskanzlei und der Ministerien zu verwirklichen? Das war mir zu wenig. Das ganze Internet in Deutschland begann so einfältig mit einem „Willkommen auf meiner Startseite“. Was sollte eine Website der Landesregierung mehr leisten können, mehr Nutzen stiften, als selbst nur eine digitale Visitenkarte zu sein? Es war die Idee eines „Schleswig-Holstein Forums“ geboren. Wie konnte das gelingen?
Klaus Friebe (1935-2017) von der TSH unterstützte immer innovative, technologiegetriebene, „verrückte“ Ideen, so hatten wir uns auf Schloss Glücksburg kennengelernt. Als gebürtiger Oberschlesier ist er erst 1958 aus Polen ausgewandert, wo er aufgewachsen war. Mit seinem Studium der Elektrotechnik ging er bis 1975 in die USA, wo er als „crasy German“ an der Entwicklung der Mikroelektronik beteiligt war. Diesen rasanten technologischen Fortschritt, der sich daraus ergab, trug er als Leiter des neu gegründeten VDI/VDE-Technologiezentrums Informationstechnik nach Berlin und damit nach Deutschland. Als Mitbegründer der Technologiestiftung und der ttz SH in Kiel war er der Antreiber und Impulsgeber für unkonventionelle Ideen.
Die Landesministerien hatten, wie damals so üblich in öffentlichen Haushalten, natürlich kein Geld, kein Budget für den Aufbau eines Internet-Landesportales eingeplant. Und sie hatten kein Konzept. Die Ministerien hatten nur ihr Budget für Druckerzeugnisse, wie Broschüren und Flyer, eingeplant. Das nötige Geld für den Aufbau eines Landesportales kam also von der Technologiestiftung und damit von Klaus Friebe und seinem Team (vor allem Michael Fornahl und Jens Ambsdorf). Wir hatten damit nicht nur die ideelle sondern auch die finanzielle Basis für ein innovatives und technologisch herausforderndes Projekt, für ein webbasiertes Landesportal, das „Schleswig-Holstein Forum“ (s. Screenshot von 1998).
2.2. Das SHF-Team
Wir? Ich stand da erstmal ziemlich allein mit meinem Versprechen an die Landesregierung. Budget und ein guter Wille waren vorhanden. Aber was nun? Ich brauchte ein Team. Mein Flensburger Studienkollege Jan Steenbuck, der sich auch schon seit 1992 mit diesem neuen Internetphänomen beschäftigte, wusste wie man HTML-Seiten manuell baute. Er war sofort dabei, als ich in fragte, ebenso Jens Westermann. Markus Radons und Stephan Abramowski, zwei weitere Programmierer aus meinem Flensburger Umfeld, lieferten ebenfalls hilfreiche Bausteine.
In der Staatskanzlei arbeitete Sunna Diemann im Büro von Bernd Rohwer. Über sie lernte ich die Lübecker Web-Agentur „MediaClick“ mit Markus Roppiler kennen, die sich 1995 gegründet hatte, ebenso wie die Firma „Lynet Kommunikation AG“ mit Henning Hach (heute Convotis). Es formte sich langsam ein Team, das dies Projekt wuppen konnte. Über die damalige Redenschreiberin von Heide Simonis, Silke Ruck (heutige Leiterin des Dienstleistungszentrum Personal SH), lernte ich Joachim Liedtke kennen, der schon als Jura-Student mehr seinem Talent als Webdesigner freien Lauf gab.
Warum zähle ich alle diese Akteure hier auf? Zum einen aus Dankbarkeit. Eine solche Herausforderung war nur durch den Einsatz engagierter Mitmacherinnen und Mitmacher möglich. Zum anderen um deutlich zu machen, dass für das Gelingen komplexer Projekte, die Kreativität und Zielstrebigkeit erfordern, ein flexibel agierendes Netzwerk notwendig ist, welches einen spürbaren Freiraum für sich nutzen kann, ein Spielfeld, auf dem man sich gemeinsam als Team antreiben, ergänzen und gegenseitig inspirieren kann.
Wir wollten also mehr, als nur eine „Hallo“-Seite. Unser Anspruch war, ein Landesportal zu erschaffen, dass nicht nur die Ministerien abbildet. Wir wollten ebenso eine regionale „Suchmaschine“ für alle Internetangebote in und aus ganz Schleswig-Holstein sein. 1996. Weit vor Google. Es gab zwar schon AltaVista (ab 1995) von Digital Equipment (DEC) und Yahoo (ab 1994) als internationale Suchmaschinen, aber eben kein regionales Angebot.
Stefan Mehne von der NetUSE AG war schon Anfang der 1990er ein passionierter Teetrinker. Er hatte ein Teegeschäft in Oldenburg in Holstein entdeckt, zu dem er aber nicht immer fahren wollte, um sich seinen Lieblingstee kaufen zu wollen. So überredete er den alten Landenbesitzer, der gar keinen Computer besaß, einem Internetshop zuzustimmen, den er für ihn einrichten würde. Es wurde eine Fax-Weiche für die Webseite programmiert und so fielen bei Frank Franken’s Teehandlung die Internet-Bestellungen zukünftig weiterhin aus dem Faxgerät. Aus Schleswig-Holstein stammte die erste eCommerce-Anwendung (s. Screenshot von Tim Cole, der gerne dieses Beispiel in seinen Vorträgen verwendet hat), weit vor Amazon.
Mit diesem schon „damals“ erfahrenen, innovativen Internet-Team der NetUSE AG konnten wir uns auf machen zu neuen Ufern. Meine Anfrage, ob sie für die Webseite schleswig-holstein.de eine Suchmaschine programmieren könnten, wurde mit einem sofortigen „klar doch“ beantwortet.
Wir selbst brachten uns alle autodidaktisch den Umgang mit „Homesite“ bei und klöppelten im Akkord Inhalte auf die Website, um sie dann mit „WS_FTP“ auf den Webserver zu schieben. Die Sehnsucht nach einem dynamischen Content-Management-System wuchs, das Text und Layout getrennt verwalten konnte. Aber der Start des Schleswig-Holstein Forums erfolgte statisch.
2.3. Die Eröffnung des Schleswig-Holstein Forums
Am 16. April 1997 war es soweit. Die Inhalte der Staatskanzlei waren digitalisiert. Die Organisationsstruktur der Ministerien war abgebildet und sämtliche Ministerien hatten ihre ersten rudimentären Infos und Ansprechpartner online. Wie verlief dieser Prozess der ersten Inhaltserstellung? Naja, Vorschläge, welche Anwendungen man online realisieren könnte, wurden mangels Budget abgelehnt und ein Bote hatte die bestehenden Printbroschüren als Information abzuholen, damit wir die Inhalte abtippen konnten. Ob wir jedenfalls die digitalen Druckdateien bekommen könnten? Fehlanzeige. Mit sehr viel Fleißarbeit konnte der Eröffnungtermin gehalten werden. Herbert Jacobs von der ttz SH, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, hatte die Veranstaltung voll durchgeplant und organisiert. Inklusive eines riesigen Bildschirmes im Landeshaus von „Media Connection“ wurden die Webseiten für ein großes Publikum präsentiert.
Innhalb der ttz SH als offiziellem Träger des Projektes war Franz Gelbke der Geschäftsführer. Er hat uns als Team in Abstimmung mit Klaus Friebe als Geldgeber Freiräume und Gestaltungsräume ermöglicht und gegenüber der Politik vertreten (s. Foto, Franz Gelbke im Gespräch mit Heide Simonis).
Mit dem Konzept „Ihr Internet-Nutzen regional und vor Ort“ starteten wir in die Öffentlichkeit unter der Domain schleswig-holstein.de. Die Vision bestand ebenso, irgendwann Verwaltungsanforderungen als Anwendungen von Land und Kommunen online abwickeln zu können. Der Begriff „eGovernment“ war geboren. Wir waren unserer Zeit damit wohl über 25 Jahre voraus, aber taten erstmal so „als-ob“ und hatten stattdessen ja immerhin einige andere private Webseiten aus Schleswig-Holstein eingesammelt, um ein paar regionale Inhalte als „Suchmaschine“ verlinken zu können.
Auf der Bühne wurde Heide Simonis von Herbert Jacobs (ttz SH) nach ihren ersten Erfahrungen im Internet gefragt. Sie meinte, dass ihr Block und Bleistift immer noch lieber wären… wir wurden vorher als Team von der Staatskanzlei auch gewarnt, dass die Ministerpräsitentin den Umgang mit der Maus nicht gewohnt sei, weil sie nicht am Computer arbeiten würde.
Da wir vor dem Eröffnungstermin keine Zeit bekamen, mit Heide Simonis den Umgang mit der Maus am PC-Bildschirm zu üben, haben wir den roten Startknopf nicht nur riesig gemacht, den sie zu zur Eröffnung zu drücken hatte, sondern haben auch die gesamte Fläche um den Knopf drum herum zur Sicherheit interaktiv mit einem Link versehen, dass sie nur irgendwo mit der Maus zu klicken hatte, bis die Startseite erschien.
Es ging alles gut. Nach ihrem ersten Mausklick erschien die vorgesehene Webseite „Das Forum ist eröffnet“ und der Sekt konnte getrunken werden. Erleichtert entfernte sie sich von ihrem ersten digitalen Arbeitsplatz. Heide Simonis war schon damals als äußerst aktive Flohmarkt-Jägerin und beinharte Verhandlerin bekannt. Einige Jahre später, 1999, berichtete sie, dass sie nun sehr rege bei eBay aktiv sei und die Vorteile des Internets schätzen gelernt hätte.
Das Interesse an den ersten offziellen Inhalten der Landesregierung im Internet war groß. Das Foyer im 1. Stock des Landeshauses war sehr gut gefüllt. Viele Menschen wollten bei diesem Aufbruch in eine neue Zeit dabei sein (s. Foto). Auch die dann kommenden Abrufzahlen des Schleswig-Holstein Forums wuchsen rasant mit den dann von uns immer weiter ausgebauten Inhalten. Neben den Ministerien kamen die nachgeordneten Einrichtungen, wie Landespolizei mit den ersten Online-Fahnungen (nach geklauten Segel- und Sportbooten), die Denkmalpflege oder das Landesmuseumsamt oder dann später auch das staatliche Glücksspiel mit NordwestLotto Schleswig-Holstein dazu.
Der Erfolg des Schleswig-Holstein Forums mit seinen steigenden Abrufzahlen ließ die Kosten steigen und gleichzeitig entstand die Möglichkeit, mit ersten Online-Werbeanzeigen Umsatz zu generieren. Das war ganz im Sinne des Projektträgers, der ttz SH GmbH und der Landesregierung, aber dann einige Zeit später nicht im Sinne der dann vermehrt aufkommenden privaten Portalanbieter. Die IHK zu Kiel, deren Tochter die ttz SH GmbH (Vorläufer der heutigen WTSH) war, erhielt wüntende Protestbriefe, dass die öffentliche Hand nun in den neu aufkommenden Markt eingreifen würde und damit den Wettbewerb verzerren würde. Wir hatten die Einnahmen zu drosseln und hatten gleichzeitig das Problem der technischen Weiterentwicklung, der anstehenden Investitionen in ein leistungsfähiges Content-Management-System, weil das Bedürfnis bei allen öffentlich beteiligten Institutionen extrem wuchs, nun auch eigenständig die Inhalte ihrer Webseiten ändern und ergänzen zu wollen, ohne über uns als keines Team gehen zu müssen. Aber vor allem Jan Steenbuck hat diesen Anstrum der Herausforderungen gut Stand gehalten. Hier auf dem Foto (links) lacht er noch am Eröffnungstag 🙂
Eines unserer Highlights inhaltlicher Art war, bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vom 22. März 1998, zusammen mit Ulf Grüner (heute beim Schweizer Radio und Fernsehen, SRF), im Landeshaus bei der Wahlkommission als Medium direkt vertreten zu sein, welches dann schneller die Wahlergebnisse im Internet verkünden konnte, als es der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem NDR konnte.
Die schleswig-holsteinische Landesregierung spürte immer stärker, dass sie nicht mehr den Anforderungen der neuen digitalen Welt mit unserem kleinen Pilotprojekt gewachsen war. Gleichzeitig waren die Kassen (wie so oft) leer. Da kam in 1998 die Idee eines Private-Public-Partnerships im Wirtschaftsministerium auf. Könnte nicht ein privater Betreiber innerhalb eines europaweit ausgeschriebenen Verfahrens gefunden werden, der die Domain schlewig-holstein.de unter der Auflage betreiben und bewirtschaften möchte, die Landesregierung kostenneutral mitfahren zu lassen? So erging an mich die Aufgabe, eine europaweite Ausschreibung vorzubereiten und mit der ttz SH durchzuführen. Das sich mit inzwischen neun Personen entwickelte Team hatte damit die Hoffnung, für sich selbst auch eine neue Zukunftsperspektive entwickeln zu können, um aus der ökonomischen Sackgasse herauszukommen, denn um uns herum fingen alle an, mit Internetdienstleistungen und digitalen Produkten ordentlich Geld zu verdienen.
2.4. Das Ende des Schleswig-Holstein Forums
Im Mai 1999 war dann für uns und unser Team im Rahmen der ttz SH Schluss. Das Ausschreibungsverfahren hatte ergeben, dass nicht so wie gewünscht und bei dem Vorbild in Berlin für berlin.de auch für schleswig-holstein.de ein lukrativer, privater Betreiber gefunden werden könnte. Am Tag der Geburt, unseres zweiten Sohnes, Justus, dem 31.05.1999, erhielt ich zwischen den Wehen auf dem Handy vom Wirtschaftsministerium den Anruf, dass ein passender Betreiber gefunden sei. Es war der Sparkassenverband Schleswig-Holstein, der „gewonnen“ hatte.
Die schleswig-holsteinischen Sparkassen hatten zukünfgig die Internetaktivitäten der Landesregierung mitzufinanzieren. An dieser Stelle höre ich aus Höflichkeitsgründen auf, Namen zu nennen, obwohl ich den damaligen Akteuren persönlich nur dankbar sein kann. Aber die Entscheidung, eine S-Online und später eine S-Netline in 1999 zu gründen, um dann als Sparkassenverband in der Rolle als Internetzugangsprovider fungieren zu können, konnte nur grandios scheitern.
Ich selbst wurde in der Absicht, mich für diese neue Firma anstellen zu wollen, in den Kreis der damaligen Sparkassenvorstände als Teamleiter zuerst eingeladen. Es gab 1999 noch 27 selbstständige Sparkassen in Schleswig-Holstein. So saß ich vor 27 in dunklen Anzügen gekleideten, krawattentragenden, älteren Herren, die mir in ihren üblichen Führungsrollen und in den Räumen ihrer Sparkassenakademie versuchten zu erklären, wie das Internetgeschäft zukünftig zu laufen hat. Ich wäre am liebsten schreiend aus dem Raum rausgerannt. Konnte mich aber noch beherrschen. Meine freundlich und bestimmt vorgetragenen Gegenreden und Argumente, dass man das auch anders sehen könnte, wurden ignoriert. Meine Vorausschau, dass das nur ein teures Scheitern werden könnte, sollte nicht gehört werden. Entschiedungen waren gefallen und ich sollte sie gefälligst umsetzen. Was fiel mir als Grünschnabel ein, diesen gestandenen Führungspersönlichkeiten zu widersprechen? Dabei hatte ich auch extra einen dunklen Anzug an und hatte mir wieder meine Bärchenkrawatte als Kulturstrick umgelegt (s. Foto). Hat nicht geholfen.
Da fiel mir recht zügig als Ausrede ein, warum ich für eine Anstellung in einer Sparkassenfirma nicht zur Verfügung stehen würde: Ich möchte doch noch promovieren! Ja, hatte ich zwar irgendwann mal vor, aber jetzt nahm diese Idee in dieser Situation plötzlich ungemein innerhalb von Sekunden Fahrt auf. So rannte ich glücklich befreit aus dieser für mich sehr unangenehmen Gesprächssituation heraus. Ich konnte doch nicht 27 Sparkassenvorständen noch deutlicher sagen, dass ich sie unmöglich fand. Selbst wenn nicht die unsinnigen unternehmerischen Entscheidungen im Raum gestanden hätten, dann hätte mich die im Gespräch erfahrene Unternehmenskultur dieser Gesellschafter immun gegen jede noch so hohe Gehaltsverlockung gemacht. Das Thema der flachen Hierarchien in agilen, innovativ arbeitenden Teams war ihnen noch unbekannt.
Jetzt waren aber meine anderen Teammitglieder dran. Auch die wollten die Sparkassenvertreter als Knowhow-Träger gerne anstellen. Aber so wie es mir erging, kamen auch alle anderen arg verzweifelt aus den Gesprächen heraus und hatten jeweils ihre Anstellung in Anbetracht des offensichtlichen in naher Zukunft unabwendbaren Scheiterns dieser neuen Firma abgelehnt. Ich wurde von meinen Teammitgliedern bestürmt. „Lass uns eine eigene Firma gründen!“ Die Sparkassen wären auf uns als Team in den ersten Monaten angewiesen. Selbst für eine reine Übergabe der Systeme würden wir einen Servicevertrag mit denen abschließen können. Wenn wir sie von ihrem Irrglauben nicht befreien können, dann nutzen wir doch deren Lehrgeld, welches sie bereit waren in Masse auszugeben, um damit den Start unserer eigenen Firma zu finanzieren. Und so wurde ich ungeplant zum Vorsitzenden der Ticcon AG, die sich am 27.11.1999 in Flensburg gegründet hat. Tatsächlich wurde S-Online, wie die neue Firma des Sparkassenverbandes zum Start hieß, unser erster Kunde und ich vertagte mein Promotionsvorhaben. Als Geschäftsführer der Sparkassenfirma wurde ein ehemaliger Chef der Daimler-Benz-Tochter debis AG, also eines Großkonzerns, eingestellt. Groß und teuer muss doch gut sein, oder?
3. Transaction + Information + Communication and Consulting = Ticcon
Der erste Firmensitz war der Holm 64 in der Flensburg Fußgängerzone in dem Büro des Flying Kiwi Verlags und des Kreisverbandes der Grünen im ersten Stock, wo wir als Untermieter anfingen. Marcel Dinslage, Mitgründer und Mitvorstand begann schnell auszuschwärmen, um geeignete Räumlichkeiten für unser Unternehmen zu identifizieren und er wurde am Hafendamm 33a fündig. Wir kauften Bürotische, Stühle und Computer aus unserem Stammkapital heraus, um das neue Büro einrichten zu können. Böser Fehler.
Natürlich existiert eine neue Firma als Kapitalgesellschaft nicht schon, wenn die wertvolle Stempelfarbe des Notars auf dem Gesellschaftsvertrag trocken ist. Nein. Es bedarf einer formellen Eintragung beim Amtsgericht. Und wenn auch der Amtsschimmel etwas viel Zeit braucht, bis er wiehert, weil er gerade „auf Computer“ umstellt, dann hat man einen aktuellen Kontoauszug mit dem vollen Stammkapital eben später noch einmal zu präsentieren. Eine Sachgründung mit Tischen, Stühlen und Computern wäre sehr kompliziert, deshalb musste das Konto schnell wieder gefüllt werden. Die Motivation, zügig neue Kunden akquirieren zu wollen, um flink Anzahlungsrechnungen zum erneuten Auffüllen des Firmenkontos ausstellen zu können, erfuhr damit eine ungemein wirksame staatliche Förderung. Wen rufe ich an? Wo fahre ich als erstes hin, um einen sicheren Auftrag zu erhalten? Willkommen im projektorientierten Agenturgeschäft.
3.1. Das Poduktportfolio
Das vierköpfige Gründungsteam brachte unterschiedliche Kompetenzen und Ideen mit ein und wir konnten auf so manche konkreten Kontakte und Projekte aufbauen. Einer dieser Kontakte war zur Presse.
Das Medium Zeitung war um die Jahrtausendwende noch sehr wichtig. Was in der Zeitung stand, wusste die Stadt, wussten die Entscheider. So war es auch für eine junge, den neuen Medien zugewandte Firma, die Aufträge haben wollte, auch in der Zeitung zu stehen. Das Flensburger Tageblatt als monopolistischer Zeitungsanbieter im Norden, der nur durch ein unbedeutendes, kostenloses Wochenblatt „Moin Moin“ – gestört – wurde, begleitete mich schon einige Jahre als Comiczeichner und Vermittler für Kim Schmidt. Da reichte ein Anruf und als bei uns im Büro am Hafendamm alles so eingrichtet war, dass man Besuch reinlassen konnte, kam die Presse vorbei. So entstand der Artikel: „Vier Flensburger Jungs und die Zukunft“ und „Zwischen Computer und Kaffeemaschine“ und erschien am 22. März 2000.
Artikel als PDF: ft_22_03_00_Gründung_Ticcon
Auf dem Zeitungsfoto ist Jan Steenbuck (v.l.n.r.) mit dem Motorola Timeport, dem ersten internetfähigen Handy zu sehen, ich klicke auf eine Maus, Jan Henry Kruse umarmt liebvoll eine Tastatur und Marcel Dinslage hält im Vordergrund eine zu der Zeit hoch angesagte Fachzeitschrift, den „new media report“, in die Kamera. Der Redakteur schreibt so begeistert über unsere damals hochinnovativen Flausen im Kopf, dass wir uns mit dem Thema Internet im Handy befasst haben. Nur das verstand noch gar kein Kunde. Es gab noch gar kein richtiges, internetfähiges Funknetz und die Display der Handys waren alle noch grün mit schwaren Zahlen. Zu der Bandbreite unseres Angebotes, dass wir eigentlich, um doch dringend heute schon Geld verdienen zu können, einfache Webseiten hätten gestalten und programmieren können, da verweist er auf unsere eigene Webseite, die damals nur einige wenige Nerds hätten anklicken können.
3.x Game-Entwicklung
Die Lighthouse-Foundation rund um Jens Ambsdorf und Jörg Grabo hatten uns als einen der ersten Ticcon-Kunden mit der Realisierung ihrer Webseite beauftragt. Die immer sehr kreative und fördernde Zusammenarbeit mit der Stiftung sorgte irgendwann im Jahre 2000 dafür, natürlich um die Attraktivität der Webseite zu erhöhen, ein Spiel, ein Serious Game entwickeln zu können: „Eridanus Quest“. Endlich wuchsen meine Vorlieben für Comics und Spiele in einem Projekt noch enger zusammen.
3.x Das virtuelle Rathaus: Ein funktionierendes eGovernment-System von 2001
Über die jahrelange Realisierung des Landesinformationssystems für das Bundesland Schleswig-Holstein hatten wir als Ticcon-Team einen gewissen Hang zu öffentlichen Auftraggebern. So glaubten wir, es sei eine gute Idee, wenn wir davon wegkämen, ständig nur einzele Programmierprojekte im Auftrag für Kunden realisieren zu müssen und wollten hin zu einer Produktentwicklung und einer Standardisierung. Es beginnt hier eine Geschichte des eGovernments als Spießrutenlauf und Schwarzes Loch, die wir uns selbstverständlich so gar nicht in unseren schlimmsten Albträumen hätten vorstellen können. Wir waren mit unserer Geschäftsidee mehr als 25 Jahre der Zeit voraus. Diese unternehmerische Naivität mussten wir teuer bezahlen. Wir glaubten Vater Staat auf der kommunalen Ebene in ein digitales Zeitalter heben zu können. Wir haben uns heftig überhoben. Wir sahen ein riesiges Marktpotential. Tja. Zu einem funktionieren Markt gehören Nachfrage und Angebot. 2002 gab es jedoch gar keine ausreichende Nachfrage. Und wir als kleines mittelständisches Unternehmen versuchten, die öffentlichen Institutionen in Bezug auf die Digitalisierung zu missionieren? Rückblickend ist immer alles klar. Es konnte nur schief gehen. Aber damals waren wir noch jung, voller Tatendrang und Selbstüberzeugung, dass andere doch die notwendige Veränderung einsehen müssten. Taten sie aber nicht.
Link zum PDF des Artikels: Flensburger_Tageblatt_shz_Ticcon_Virtuelles_Rathaus_Buechen_Uwe_Moeller_2_25_05_2001
Ja, 2001 gab es schon ein Gesetz zur digitalen Signatur und wir haben als erste Firma dafür die Anwendung „Viruelles Rathaus“ mit insgesamt 158 kommunalen Verwaltungsvorgängen und entsprechendem Dokumentenmanagement umgesetzt (s. sh:z-Zeitungsartikel vom 12.10.2001). Es hätte alles so schön werden können.
Link zum PDF des Artikels: Flensburger_Tageblatt_shz_Ticcon_Virtuelles_Rathaus_Buechen_1_12_10_2001
3.x. Produktentwicklung „VisiPlan“
Die Lighthouse Foundation als fordernder und fördernder Kunde hatte über das eigene Bedürfnis, auf Landkarten Informationen unterbringen zu wollen, das Ticcon-Team motiviert, in eine Produktentwicklung zu investieren, die es bis dahin noch nicht gab. Über ein eigenes Redaktionssystem Punkte, Flächen und Linien individuell in die eigenen Webseiteninhalte integrieren zu können, eröffnete ganz neue Gestalungs- und Darstellungsformen. Auf einem Plan, einer Landkarte, Inhalte visuell online darstellen zu können, war 2002 sensationell und sehr innovativ. So fingen wir an, das webbasierte Softwareprodukt zu entwickeln, das dann von 2003-2010 funktionierte. Technikverliebt ahnten wir allerdings nicht, auf welche Herausforderungen wir uns eingelassen hatten. Landkarten benötigen Geodaten. Selbst mit unserem sehr guten Draht zum Landesvermessungsamt in Schleswig-Holstein war es schwierg, eine Projektbasis zu finden. Die besethende „Gebührenordnung“ sah nicht den Nutzungsumfang vor, den wir mit einem Webservice hätten anbieten wollen.
Der große US-Konzern Google hatte am 23. Oktober 2000 angefangen mit Werbung (seinem ersten Produkt und Geschäftsmodell „Google AdWords“) bei seinen Suchergebnissen Umsatz zu generieren. Das Produkte „Google Maps“ erschien erst am 8. Februar 2005.
3.x. Mobile Business: Gründung der MoBizz als Vorläufer der MCS
Ticcon hatte schon zahlreiche mobile Anwendungen realisiert. Wir waren seit 1999 eng mit Axel Wiese und Markus Radons von Motorola in Flensburg im Austausch. Über unser Aufsichtsratsmitglied Gerd Pontius, meinen Comicfreund aus der „Special“-Zeit von 1979-1981, der der Initiator und Geschäftsführer der Firma Prologis war, entstand 2003 der Kontakt zur Fluggesellschaft HLX, Hapag-Lloyd-Express, in Hannover. Mit dem frisch bei Motorola erschienen neuen, voll internetfähigen Handy (MDA, Smartphone sagte man noch nicht…, welches 3G konnte), das mit Farbdisplay ausgestattete A920 sind wir in die niedersächsischen Hauptstadt gefahren, um die Möglichkeiten von mCommerce (mobile Geschäftsabwicklung) zu präsentieren.
Wir konnten Euphorie verbreiten. Internet für die Hosentasche. Von unterwegs ganz einfach sein Flugticket buchen können? Zu der Zeit fand in Hannover jährliche auf dem großen Messegelände, wo vor Kurzem noch die EXPO 2000 stattfand, die CeBIT statt. Das war die Messe für Digitalprodukte, Hard- und Software, wo man als namhaftes Unternehmen zu sein und sich und seine neusten Produkte zu zeigen hatte. Motorola hatte ein sehr starkes Interesse, endlich für die lange Zeit schon angekündigten mobilen Anwendungen für den neuen Funknetzstandard UMTS (3G) brauchbare Ergebinsse zu zeigen und HLX wollte nun eine der ersten Anwendungen sein, die in ihrer Heimatstadt Hannover auf der CeBIT 2004 am Messestand von Motorola buchbare Flugtickets präsentieren wollte. Hui. Nun musste es schnell gehen. Ein solches Projekt hatten wir noch nie umgesetzt. Aber ich konnte mich ja bisher auch auf mein Technikteam verlassen, wenn ich mit solchen innovativen Ideen ins Büro kam.
3.x. Fortuna-Server: lotterie.de und die Klassenlotterien NKL und SKL
Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen wurde Anfang der 2000er „eBusiness“ genannt. Der Kieler Unternehmer Chris de la Motte hatte sich die Domain lotterie.de gesichert und Ticcon 2001 beauftragt, für ihn den „Fortuna-Server“ zur digitalen Abwicklung des Losverkaufs für die Klassenlotterien NKL und SKL über das Internet zu realisieren. Bei der technischen Umsetzung unterstütze uns der damalige Mitarbeiter der NetUSE AG, Kristian Köhntopp, als Softwarwentwicklungs-Guru.
Nicht nur als einzelne Lotterie-Annahmestelle sollte die Website funktionieren. Der Fortuna-Server sollte für die zahlreichen weiteren staatlich anerkannten, privaten, Lotterie-Einnahme-Unternehmen die passende Softwarelösung sein.
Chris de la Motte verkaufte das Lotterie-Geschäft und die Domain lotterie.de 2011 an einen NKL-SKL-Kollegen aus Franken (Nordbayern), die Wettstein GmbH aus Hallstadt.
3.x. WM-Jahr 2006
Website-Relaunch im Mai 2006 mit dem Open-Source-CMS Typo3.
3.x. Projekt weltmeisterschaft.de
Als „Sommermärchen“ wurde die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland bezeichnet. Ein bisschen märchenhaft ist auch die Geschichte um die Domain weltmeisterschaft.de, die kurz vor der Fußball-WM tatsächlich noch unprojektiert und damit ungenutzt herumlag. Mit Mediatrust hatten Kai Bosy und ich das Browsergame „Matchroad“ entwickelt. Ein solches Browsergame benötigt Spielerinnen und Spieler. Die kommen über Links auf hoch frequentierten Seiten. Aber Werbung auf solchen Seiten zu schalten ist sehr teuer. Warum also nicht einfach selbst ein hoch frequentierte Seite erstellen, die zum Spiel führt? Da stand ja eigentlich die Domain weltmeisterschaft.de zur Verfügung und Deutschland befand sich im Fußball- und Klinsi-Taumel.
So eine FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft ist für diesen Weltverband eine Goldgrube. Der Sport wird zum Milliardengeschäft. Und so hatte die FIFA sich juristisch Markenrechte sichern lassen, die jede unternehmerische Aktivität rund um die WM eigentlich unmöglich machten. Selbst die Bäcker-Innung bekam teure Abmahnungsschreiben von FIFA-Anwälten, weil sie „Weltmeisterbrötchen“ produzierten. Aber es gab da einen Konzern, der es sich traute, gegen diese gierige FIFA gerichtlich vorzugehen: Ferrero. Dieser Süßwarenhersteller hatte schon viele Jahre vorher jeweils zu den Europameister- und Weltmeisterschaften kostenlose Sammelbildchen als Zugabe zu ihren Produkten Hanuta und Duplo produziert und damit die Fans beglückt, die daraufhin vielleicht hier und da ein bisschen mehr naschten. Und nun plötzlich sollte Ferrero diesen Marketingtrick nicht mehr verwenden dürfen? Da lief doch was grundsätzlich falsch.
Ferrero hatte den Mut und das Geld gegen die FIFA vorzugehen. Aber Juristen und Gerichte brauchen heutzutage immer sehr, sehr lange, um Recht sprechen zu können. So ergab es sich, dass gerade mal grob vier Wochen vor WM-Start ein Oberlandesgericht die FIFA mit ihrem Allmachtsanspruch ausbremste und Ferrero mit einem Hinweis auf die Fußball-WM für sich werben durfte. Da waren natürlich schon alle Sammelbildchen ohne die Kennzeichnung „WM“ gedruckt und in den Schokoriegeln enthalten. Aber diese Meldung vom 26.04.2006 löste in mir einen Drang aus (Spiegel-Meldung, zum Online-Artikel: HIER). Ja, wenn denn jetzt keine Anwaltspost drohen kann, wenn wir die Domain weltmeisterschaft.de mit Inhalten füllen, dann aber mal los. Es entstand eine sehr betriebsame Hektik. Das Herz des Verlagskaufmanns schlug höher. Inhalte und Werbepartner mussten her.
Die Grundinfos zu einem solchen Mega-Event kann man sich bei einer Nachrichtenagentur einkaufen und ich hatte ja ein umfangreiches Netzwerk an kreativen Menschen um mich herum. Die Firma Leadsatz aus München, der Sport-Informations-Dienst aus Neuss und Volker Sponholz mit Lutz Mathesdorf, bekannt durch ihre Fußball-Comics und -Cartoons („Bertis Buben“, „Ribecks Racker“, „Tante Käthe“) lieferten tagesaktuelle Zeichnungen.
Inzwischen hatten sich einige leistungsfähige Werbevermarkter in diesem noch frischen Feld des Online-Marketings etabliert, die behaupteten, passende Werbekunden zu haben. Unsere Wahl fiel aufgrund ihrer sehr blumigen Worte auf die AdLINK Internet Media GmbH in Düsseldorf. Wir ahnten nicht, was in diesem Werbemarkt gerade los war. Ob wir absichtlich betrogen worden sind oder wirklich die Technik nicht funktionierte, kann ich rückblickend immer noch nicht beantworten. Als unsere Webseite weltermeisterschaft.de nun mit einer Nacht- und Nebeaktion mit den ersten Inhalten online war, begann der ständige Blick auf die Zugriffszahlen im Backend des Werbevermarkters.
Wie viel inhaltlich Gas können wir geben? Wie viel eigene Werbung könnten wir selbst schalten? Die von AdLINK an uns veröffentlichten Werbeumsätze galten uns als Maßstab und Kalkulationsgrundlage. Die Zugriffszahlen auf unsere neue Website waren, wie erhofft, sensationell. Google nahm damals noch eine generische Domain mit ihrem Algorithmus sehr ernst, deutsche Sprache und eine .de-Endung in der Domain wirkten sehr gut. Wir standen, wenn jemand bei Google „Weltmeisterschaft“ eingab, tatsächlich immer auf den oberen Plätzen der Suchergebnisse. Viele WM-Spiele fanden während der Arbeitszeit von berufstätigen Menschen nachmittags statt, d.h. vom Büroarbeitsplatz suchten die Interessierten nach Infos und Ergebnisse. Um es kurz zu machen: die vom Werbevermarkter uns gegenüber kommunizierten Werbeeinnahmen ließen uns mit viel Freude inhaltlich richtig Gas geben. Wir ahnten nicht, dass diese Firma dann einige Wochen nach der WM auf die Idee kam, bei den Auszahlungen nur die Hälfte des eigentlichen Betrages zu überweisen. Waren die ersten Erklärungen noch Ausreden über technische Abrechnungsprobleme oder verfolgte man schon eine Absicht? Stand die Firma wirtschaftlich selbst mit dem Rücken an der Wand? Warum zahlten sie nicht die kommunizierten Werbeeinnahmen aus? Bei uns trümten sich die Rechnungen über die eingekauften Inhalte. Vielleicht ist dieses Verhalten mit ein Grund, warum es AdLINK bald nicht mehr gab. Weil diese Firma ein Teilbereich des großen Konzerns von United Internet (web.de, GMX etc.) war, konnten wir nicht ahnen, dass uns so etwas passiert.
Nach diesem Fußballgroßereignis 2006 standen ebenso in Deutschland zwei weitere Weltmeisterschaften an: Handball und Basketball. Wir mussten schnell lernen, dass die für diese Themen eingekauften Inhalte sich gar nicht rechneten. Die Zugriffszahlen im Vergleich zum Fußball waren in diesem Jahr marginal. Dabei hatten wir selbst diese Themen gar nicht als Randsportarten empfunden. Zahlen lügen nicht (… eigentlich, s.o.). Aber es gab Menschen, die von der Faszination generischer Domains weiterhin überzeugt waren und wir wollten (und konnten) nicht mehr warten, bis in vier Jahren der Fußball wieder wirken könnte. Die Domain musste hochpreisig verkauft werden, so lange eine Wertvermutung bei potentiellen Käufern bestand. Uns war außerdem klar, dass Google seine Strategie und seinen Algorithmus bis zur nächsten WM ändern wird. So war auch unser „Sommermärchen“ nur sehr kurz. Aber wir hatten elementare Erfarungen im Online-Werbemarkt gesammelt, die wir gut für den Aufbau des Portals spielen.de und der Firma Mediatrust gebrauchen konnten.
3.x. Umzug ins Deutsche Haus 2007
Ticcon und Forward waren eng verbunden aber hatten in Flensburg unterschiedliche Standorte. Und als sich die Möglichkeit im Deutschen Haus bot, im Bürotrakt auf einer Ebene gemeinsam beide Firmen zu betreiben, da rief mich Thomas Dethleffsen an und meinte, dass ein Umzug vom Hafendamm an den Berliner Platz in die „Alte Bücherei“ anstehen würde. Das geschah dann auch am 22. März 2007. Auch hier gibt es eine Vorgeschichte…
Der Versammlungs- und Veranstaltungsort Deutsches Haus gehört der Stadt Flensburg. Es ist ja ein Geschenk des Deutschen Reiches an die Stadt für die die „deutsche Treue“ bei der Volksabstimmung nach dem I. Weltkrieg, zu welchem Land die Stadt gehören möchte: Deutschland oder Dänemark? Die Bewohner der Stadt Flensburg wollten 1920 zu 75,2% Deutsche bleiben. Seit der Eröffnung 1930 war der Gebäudekomplex in städtischer Verwaltung. So ein Kasten kostet in seiner Unterhaltung Geld. Viel Geld für eine Kommune, die ständig knapp bei Kasse ist. Im Rathaus saß Jahrzehnte lang eine städtische Verwaltungskraft, die ihr Telefon bewachte, falls jemand anruft, um das Deutsche Haus mal für Veranstaltungen mieten zu wollen.
Thomas Friedrich als FH-Dozent war kommunalpolitsch aktiv und entdeckte diesen städtischen Missstand. Er sorgte 1994 für einen Auftrag an unsere studentische Unternehmensberatung, die „Glücksburger Konzepte“ vom Schlosshof. So arbeitete ich an dem zukünftigen privaten Betreibermodell für das Deutsche Haus mit, um daraus ein Kultur- und Kreativhaus formen zu können, das unternehmerisch agiert und nicht nur verwaltet wird. Ziel der Studie war es auch, einen passenden Betreiber zu finden. Es wurde die Firma „förde-show-concept“ (fsc) mit Geschäftsführer Peter Thomsen. So kam Leben in die alte, verstaubte Bude. Naja. Und an der Firma war auch Thomas Dethleffsen beteiligt. So erklärt sich dann auch der Anruf und meine spontane Umzugsentscheidung von 2007 die Jan Steenbuck und ich zusammen 13 Jahre später fällten. Manchmal weiß man gar nicht, wofür was gut ist.
3.x Das Archimedessystem
Die zahlreichen Verbndungen zum Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag (sh:z) habe ich auf dieser Webseite schon hier und da erwähnt. Es kam ab 2007 eine weitere hinzu.
3.x. Auslaufende Dienstleistungsprojekte
Das Ticcon-Team schrumpfte weiter. Bis 2012 wurden aber noch Dienstleistungsprojekte auf der Webseite vorgestellt.